Die Frage, was gute Führung ausmacht, hat in der Philosophie der Gegenwart an Bedeutung verloren. Verwunderlich ist das nicht. Schließlich waren die namhaften Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts damit beschäftigt die unterdrückerische Kraft von Machtstrukturen aufzudecken und Strategien zu deren Unterwanderung zu entwerfen. Auch die Aufklärung verstand sich nach Immanuel Kants berühmter Definition als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Von Revoluzzern wie Karl Marx mal ganz zu schweigen. So gesehen ist es nicht überraschend, dass sich Philosophen eher der Ermächtigung der Geführten als den richtigen Strategien des Führens verschrieben haben. Führung wird schnell mit Unterdrückung assoziiert.

In einem im Februar 2015 erschienenen Essay beschreibt der Altphilologe Jerry Toner die Ähnlichkeiten der antiken Theorien zum Umgang mit Sklaven und der modernen Management-Theorien. Beide nutzen Taktiken wie Anreize, Boni und freundschaftlichen Umgang mit den Untergebenen und verfolgen das gemeinsame Ziel „dem Humankapital den maximal möglichen Wert zu entziehen“. Ähnlich schlecht kommt der moderne Arbeitsplatz bei Slavoj Zizek, einem der berühmtesten gegenwärtigen Philosophen, weg. Folgt man dem marxistischen Starintellektuellen sind offene Büros, der freundliche Arbeitgeber, das Feierabendbier mit dem Chef, auch eine Taktik, die wahren und wie gehabt vorherrschenden Machtverhältnisse zwischen Arbeitgeber – und-nehmer zu verschleiern.

Kaum einer hat das Dilemma zwischen Macht und Freundschaft auf der Führungsebene besser und witziger aufgeführt als Bernd Stromberg, selbsternannter Menschenführer und Chef der Schadenregulierung M bis Z der Kapitol Versicherung in Ralf Husmanns Fernsehserie. Wenn Stromberg seinen Führungsstil erklärt, fasst er ungewollt Toners These in drei Sätzen zusammen: „Machst du gute Laune, machen dir die Leute die Arbeit. So einfach ist das. Bei den Sklaven auf den Baumwollfeldern wurde ja auch immer gesungen“. Dabei sehen wir Stromberg, der sich einen Pappteller mit ausgestanztem Strichgesicht vor das Gesicht hält und vor einem Angestellten rumalbert. Als der kein Interesse an seinem Chef zeigt, knallt Stromberg ihm genervt eine Mappe mit zu bearbeitenden Akten auf den Schreibtisch. Die Macher der Serie haben sich den schlimmstmöglichen Chef ausgemalt und das Ergebnis erinnert stark an den kumpelhaften Chef, von dem Zizek in seiner Kritik spricht.

Warum gerade Autorität unter dem Deckmantel der Gleichheit perfide sein kann erklärt der Philosoph mit dem Beispiel eines Kindes, das zum Geburtstag seiner Großmutter kommen soll. Widerstrebt das Kind, formuliert der autoritäre Vater einen Befehl: „Es ist mir egal, was du willst. Es ist deine Pflicht, deine Großmutter zu besuchen“. Der postmoderne antiautoritäre Vater würde dagegen sagen: „Du weißt, wie sehr deine Großmutter dich lieb hat. Trotzdem zwinge ich dich nicht, sie zu besuchen. Du solltest sie nur besuchen, wenn du es wirklich willst“. Für Zizek ist der vermeintlich antiautoritär formulierte Zwang viel größer als der des traditionellen Vaters, denn das Kind soll die Großmutter nicht nur besuchen, es ist auch gezwungen, es selbst zu wollen. Die Situation ist die gleiche bei einem Chef, der die Belegschaft überredet Überstunden zu machen, indem er an den Teamgeist appelliert. Der Zwang betrifft nun nicht mehr nur das Handeln, sondern dringt in die Persönlichkeit. Denn das Kind hört im Appell des Vaters, „Wenn du nicht kommst, liebst du deine Großmutter nicht“ und der Mitarbeiter hört im Appell des Vorgesetzten „Wenn du keine Überstunden machst, bist du illoyal“.

Das soll alles andere als ein Argument für den Rückschritt zu traditionellen und autoritären Strukturen sein und gewiss kein Appell gegen die Freundlichkeit. Man sieht hier lediglich die Skepsis, mit der die Philosophie den Führungsebenen begegnet. Diese Skepsis lässt sich auf einen Grundsatz zurückführen, der in verschiedenen und sogar verfeindeten philosophischen Schulen zentral ist. Die berühmteste Formulierung dieses Grundsatzes findet sich in der sogenannten Selbstzweckformel von Immanuel Kants Kategorischem Imperativ, die besagt, dass man Personen nie ausschließlich als Mittel zum Zweck, sondern immer „als Zweck an sich selbst behandeln soll“. Die Angst, dass der Mensch zum bloßen Mittel zum Zweck verkommen kann, ist auch den Philosophen eigen, die ansonsten Kant in jedem Punkt widersprechen, von Heidegger bis Adorno, von Habermas bis Zizek.

Wieder lässt sich Bernd Stromberg als ultimative Repräsentation des Unbehagens der Philosophen heranziehen. In einer Szene legt er dar, warum ihm das „Menschenführen“ im Blut liege. Ihm seien nämlich alle seine Angestellten wichtig, „vom kleinsten Aktenschwengel bis hin zur hinterletzten Tippnudel, die wissen, dass ich sie ernst nehme“ proklamiert der Abteilungsleiter. Der Mensch verschwindet hinter seiner Funktion. Natürlich nimmt Stromberg seine Angestellten nicht ernst. Sie werden nicht als Selbstzweck, sondern lediglich in ihrer Funktion als „Tippnudel“ und „Aktenschwengel“ wahrgenommen. Nun ist Stromberg gewissermaßen ein fiktionales Destillat aller schlechten Eigenschaften, die man im Umgang mit Mitarbeitern an den Tag legen kann. Die Wirklichkeit ist natürlich selten so schwarz und weiß. Vielmehr gibt es hier unzählige Schattierungen, die eine Philosophie die sich nicht auch anthropologisch mit Führungspraktiken auseinandersetzt nie ganz erfassen kann.

Es gibt aber auch Philosophen, die gerade diesen Sinn für die realen Umstände der Unternehmenswelt wiederherstellen wollen. Im Bereich der Business Ethics zum Beispiel werden echte Urteile, Dilemmas und Praktiken von Unternehmen mit Hilfe philosophischer Konzepte untersucht. Business Ethics ist in erster Linie eine pragmatische Disziplin, die sich nicht nur an Philosophen, sondern auch an die Führungsetagen von Unternehmen richtet. So hat die Ethikerin Laura Nash 1981 zum Beispiel einen Fragebogen für den moralischen Manager entworfen, da sie glaubt dass die abstrakten Kategorien, in denen Philosophen denken, bei Unternehmern auf taube Ohren stoßen. Moralisch bewusste Unternehmer sollen sich bei wichtigen Entscheidungen zum Beispiel fragen:

  • Habe ich das Problem akkurat definiert?
  • Wie würde ich das Problem aus dem Blickwinkel meines Gegenübers definieren?
  • Wie ist es überhaupt zu dieser Situation gekommen?

(…)

  • Was ist das symbolische Potential meiner Handlung, wenn sie richtig verstanden wird? Was, wenn sie missverstanden wird?
  • Unter welchen Umständen würde ich Ausnahmen zu meinem Standpunkt zulassen?

Es gibt also tatsächlich ein philosophisches Interesse an guter Führung. Das deutsche Pendant zu dem sehr amerikanisch geprägten Bereich der Business Ethics ist die Wirtschaftsethik. Hier geht es aber weniger um praktische und an spezifischen Fällen ausgerichtete Anwendungen ethischer Grundsätze, sondern um die Entwicklung einer systematischen und makroökonomischen Ethik.

Lukas Paul Bela Frenzer, Kulturwissenschaftler

Links zum Artikel:

1) Jerry Toners Artikel über die Managementtheorien römischer Sklavenhalter.
2) Slavoj Zizek erzählt dem Vice-Magazin seine Theorie zum richtigen Umgang mit den Vorgesetzten.
3) Slavoj Zizek analysiert in der London Review of Books das postmoderne Überich und deckt dabei so ziemlich alles vom Balkankonflikt bis zu fettfreier Salami ab.
4) Laura Nashs Fragebogen für den moralischen Unternehmer