Ressourcenorientierung ist „in“. Immer mehr Personalverantwortliche und Führungskräfte in Unternehmen bemühen sich, die Kompetenzen der Mitarbeitenden zu erkennen, zu benennen und zu nutzen. Das ist ein guter erster Schritt. Er fokussiert allerdings ausschließlich auf die Person. Das Unternehmen, das Zusammenwirken der Beschäftigten und das darin liegende Potenzial werden dabei nicht in den Blick genommen – der Artikel liefert Anregungen, wie eine ressourcenorientierte Kultur etabliert werden kann und welche Vorteile dabei entstehen können.

Was bringt Ressourcenorientierung dem Einzelnen …

Der oder die einzelne Mitarbeiter/in wird leistungsfähiger – und oft auch zufriedener. Das ist das Hauptargument in Bezug auf den einzelnen Mitarbeitenden. Welcher Wirkmechanismus wird dabei unterstellt? Dadurch, dass vorhandene Fähigkeiten erkannt und benannt werden („Sprache schafft Wirklichkeit“), werden sie zu Ressourcen, die im beruflichen Kontext genutzt werden können. Die Fokussierung auf das, was gelingt, führt zu einer stärkeren Selbstwirksamkeitserwartung, die wiederum dafür sorgt, dass Menschen erfolgreicher handeln.
„Selbstwirksamkeit […] beschreibt die Überzeugung einer Person, durch eigene Fähigkeiten ihre Ziele erreichen zu können. […] Das Merkmal […] hilft zu erklären, warum Menschen mit gleichen Fähigkeiten unterschiedliche Leistungen erbringen. Personen mit hoher Selbstwirksamkeit bemühen sich stetiger bei gegebenen Aufgaben, da sie sich von Rückschlägen nicht beeinflussen lassen, sondern hartnäckig an den Erfolg ihrer Fähigkeiten glauben. Sie passen ihre Pläne und Lösungsstrategien den Umständen an. Negatives Feedback wird konstruktiv aufgenommen und für Verbesserungen genutzt.“ Aus: Christiane Schmelter

Neben den individuellen Ressourcen sind für Unternehmen besonders die interessant, die sich aus dem Zusammenspiel, der Interaktion aller Beschäftigten ergeben.

… und dem System?

Mitarbeitende und Teams, die sich sicher und orientiert fühlen, können sachorientierter und konstruktiver agieren als solche, die unsicher sind. Zum Konzept der Ressourcenorientierung im Unternehmenskontext gehört der kontinuierliche Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung, der zu mehr Sicherheit bei Einzelnen und Teams beiträgt.

Unsicherheit wird deutlich durch innere Fragen, die oft gar nicht oder nur im informellen Kontext geäußert werden: Wie wird meine fachliche Leistung, mein soziales Agieren und wie werde ich als Person eingeschätzt? Unsicherheit kann zum Beispiel in konfliktären Situationen dazu führen, dass Konflikte nicht eingegangen oder stark emotionalisiert werden. Letztlich führt Ressourcenorientierung im gesamten System dazu, dass zielorientierter an der eigentlichen Aufgabe gearbeitet wird, während unterschwellige Beziehungsklärungen oder -kämpfe an Bedeutung verlieren.

Der Gewinn an Sachorientierung steht im diametralen Gegensatz zu dem Image, mit dem sich Ressourcenorientierung auseinandersetzen muss: Ihr hängt oft etwas Kuscheliges und Pädagogisches an, was in diesem Kontext nicht positiv gemeint ist. Bewusst auf Positives zu fokussieren erscheint nicht natürlich, fast manipulativ, ein bisschen zu amerikanisch und mindestens erzieherisch und wird von Erwachsenen im beruflichen Kontext demnach eher negativ konnotiert. „Es geht hier um die Arbeit und nicht um irgendwelche Methoden!“

In Betrieben mit einer „war nicht schlecht, aber“-Kultur wird das Potenzial von Erfolgen nicht genutzt. Aussagen wie „Wir haben den Auftrag ganz gut erledigt, aber …““ fokussieren sofort nach dem Erfolg auf das Nichtgelungene. Die Chance, aus dem Erfolg zu lernen und Stolz wachsen zu lassen, Mitglied eines guten Teams zu sein, wird verpasst. Im besten Fall sorgt das Team im informellen Bereich dafür, den Erfolg zu würdigen – oft verbunden mit einer Abgrenzung vom Vorgesetzten: „Der/die kann nur meckern!“.

Positiv wirkt Ressourcenorientierung auch im Prozess interner Stellenbesetzungen. Statt zum Beispiel ausschließlich darauf zu fokussieren, dass jemandem Leitungserfahrung fehlt, eröffnet das Forschen nach Kompetenzen für eine Führungsrolle zusätzliche Perspektiven.

Ressourcenorientierung als Kultur und damit für das Gesamtunternehmen/System zu etablieren, gelingt nicht dadurch, dass einzelne Mitarbeitende eine entsprechende Fortbildung besuchen. Vielmehr ist es Sache der Leitung, an vielen Stellen im Unternehmen Anreize zu setzen und die Mitarbeitenden in die Lage zu versetzen, Ressourcenorientierung umzusetzen. Dazu einige Anregungen:

Mitarbeitende zur Selbsteinschätzung befähigen

Persönliche Kompetenzen werden in KMU sowohl durch Vorgesetzte (Fremdeinschätzung), als auch – seltener – durch die eigene Einschätzung der Mitarbeitenden erfasst. Fremdeinschätzungen durch Externe (z.B. Personalberater/innen) finden in KMU in der Regel nur im Rahmen von Stellenbesetzungen statt.

Vielen Berufstätigen fällt es schwer zu beschreiben, was sie besonders gut können und welche Fähigkeiten sie haben. „Da kam kaum etwas, als ich sie nach ihren Kompetenzen gefragt habe!“ ist eine Standardaussage, wenn Vorgesetzte von Mitarbeitergesprächen berichten. Wollen oder können es die Mitarbeitenden nicht besser und wie ist ihre persönliche Kosten- Nutzenabwägung?

Sich selbst zu loben birgt in den meisten Branchen und Unternehmenskulturen in Deutschland ein hohes Risiko sozialer Kosten: Das tut man nicht, er schätzt sich völlig falsch ein, sie will sich in den Vordergrund drängen. Demnach erscheint es sinnvoller darauf zu warten, von anderen gelobt zu werden.

Eigenlob, die Veröffentlichung von positiven Selbsteinschätzungen und von Erfolgsgeschichten sind Tätigkeiten, die im formalen Teil des normalen Berufslebens (außerhalb von Bewerbungs- und Verkaufssituationen) relativ selten gefragt sind. Sie sind damit ungeübt und viele Menschen können keine positive Selbsteinschätzung äußern. Zu beobachten ist das gut im Kontext von Fortbildungen, zum Beispiel für Führungskräfte oder im Rahmen des Selbstvermittlungscoachings (SVC). Im geschützten Rahmen sollen Teilnehmende beschreiben, was sie aus ihrer Sicht gut (und gerne) tun und welche Fähigkeiten sie dafür einsetzen. Ein Journalist sagte zum Beispiel: „Ich kann gut formulieren, kann gute Artikel schreiben und liefere sie auch immer pünktlich ab. Und flexibel bin ich auch!“ Die Fremdbeurteilung der anderen Teilnehmenden oder auch KollegInnen fiel wesentlich umfangreicher aus, sie sahen ohne Probleme die doppelte Anzahl an Kompetenzen. Der Journalist lächelte und sagte „Stimmt!“.

Wie können Unternehmen/Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden unterstützen, umfangreichere, differenziertere und potenzialorientierte Selbsteinschätzungen zu erstellen?

  • Wertschätzende Erkundungsgespräche: Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit, welche Erfolge bei der Arbeit hatten Sie in der letzten Zeit, was war ein besonders herausragendes Ereignis in Ihrer Zeit bei uns, was hat Ihnen besonders Spaß gemacht, was haben Sie zum Erfolg beigetragen, wer noch …?
  • Geben Sie kundiges, konstruktives Feedback: Ich habe gesehen, dass Sie … gemacht haben. Besonders gefällt mir daran …,
  • Geben Sie öffentlich Feedback – wenn Sie handwerklich gute Rückmeldungen geben können. Viele Führungskräfte geben nur im geschützten Dialog ein Feedback. Sie sehen vor allem das Risiko, dass bei öffentlichem Feedback unvorhersehbare Dynamik in der Gruppe entsteht: „Den lobt sie, aber uns nicht“. Oder sie befürchten, dass sich Menschen bloß gestellt fühlen. Dieses Risiko verringert sich massiv, wenn Sie zum einen regelmäßig öffentlich Feedback geben und wenn zum anderen Ihr Feedback handwerklich gut ist. Neben dem Inhalt kommt es für die Mitarbeitenden auch auf die Qualität des Feedbacks an und ob erkennbar wird, dass sich die Führungskraft mit dem Gegenüber und dem Thema auseinandergesetzt hat. Folgendes ist Mitarbeitenden wichtig: Erfolgt das Feedback zeitnah, ist es begründet und nachvollziehbar, werden umsetzbare Anregungen gegeben, ist der Ton passend, hört die Chefin bei Einwänden zu …?
  • Lassen Sie sich Erfolge erklären. Achten Sie dabei darauf, dass der persönliche Anteil am Erfolg benannt wird. Aus „Das Team hat einfach gut mitgezogen!“ wird dann „Ich habe das Ziel deutlich formuliert, ich habe mit Herrn Meyer jemanden mit der Koordination beauftragt, der das gut kann und von den anderen anerkannt wird!“
  • Veröffentlichen Sie als Führungskraft eine eigene Selbsteinschätzung.

Mit dem Negativen umgehen

„Aber die Fakten müssen doch auf den Tisch, ich kann doch nicht loben, wenn etwas schief gegangen ist!“ Ressourcenorientierung bedeutet nicht, alles nur noch positiv bis maximal neutral zu bewerten. Eine Bewertung ist (im Gegensatz zur Beschreibung) immer mit Gefühlen verbunden. Hirn und Körper haben eine Bewertung bereits vorgenommen, bevor sie ins Bewusstsein gelangt. Die (schlechte) Bewertung ist also auf jeden Fall „da“. Wie gehe ich professionell, also für mich und das Unternehmen zielführend damit um?

  • Trennen Sie Beschreibung von Bewertung. Beschreiben Sie den Auslöser für ihr Gefühl, bewerten Sie zunächst nicht. Diese wertfreie Beschreibung ist notwendige und sachliche Voraussetzung dafür, dass Kritik konstruktiv angenommen werden kann.
  • Versuchen Sie zu verstehen: Überlegen Sie sich, für wen die negativ bewertete Handlung positive Folgen hat. Trennen Sie also Aktion und Wirkung und verstehen Sie dadurch besser, wie es zum negativ bewerteten Verhalten kam.
  • Spielen Sie mit Erklärung: Misstrauen Sie einer eindeutigen Erklärung für negativ bewertetes Verhalten Ihrer Mitarbeitenden. „Er redet so viel im Team, weil er unsicher ist.“ Eine eindeutige Erklärung führt fast immer zu genau einer Lösungsoption: „Ich werde für mehr Sicherheit bei ihm sorgen, indem ich …“ Spätestens, wenn das Erklärung-Lösung-Tandem nicht zu einer Verbesserung führt, suchen Sie nach neuen Erklärungen und verzichten Sie darauf, die gleiche Lösungsstrategie nur noch intensiver zu wiederholen. Sie erweitern Ihren eigenen Handlungsspielraum, wenn Sie noch zusätzliche Erklärungen für das negative Verhalten (er)finden: „Er redet so viel im Team, weil er sich hier sicher fühlt.“

Lernen Sie (auch) aus dem, was funktioniert.

Wenn Fehler passiert sind oder etwas nicht wie beabsichtigt erledigt wurde, wird in der Regel zunächst der Fehler/das Problem beschrieben, nach Ursachen geforscht und dann die Behebung/Vermeidung des Fehlers geplant. Ergänzend zu diesem eingeübten Vorgehen können Sie als Vorgesetzte/r neue Strategien einführen.

Wenn etwas schiefgegangen ist, lohnt es sich nachzufragen, welche Teilprozesse und -ergebnisse positiv waren oder welche Rahmenbedingungen gut waren.

Wenn Aufträge gut bearbeitet oder andere Erfolge erzielt wurden, untersuchen Sie selbst oder lassen Sie sich erklären, warum etwas gelungen ist. Lassen Sie sich nicht durch „Deswegen sind wir doch hier, das ist unsere Aufgabe!“ ablenken – fragen Sie nach:

  • welche Bedingungen waren hilfreich,
  • wer hat welche Fähigkeiten eingesetzt,
  • was macht den Unterschied zu einem negativen Vorgehen/Ergebnis aus und
  • welche Schlüsse sind daraus für zukünftige Aufgaben zu ziehen?

Fazit

Wollen Sie (mehr) Ressourcenorientierung in Ihrem Unternehmen einführen, ist es wichtig, an unterschiedlichen Stellen, mit unterschiedlichen Methoden und im gesamten Unternehmen zu wirken. Dabei werden Sie mit Vorbehalten gegen die stärkere Fokussierung auf Positives konfrontiert. Es hilft, wenn Ressourcenorientierung nicht als Technik, sondern gerade auf den Führungsebenen als Haltung wahrgenommen wird.

 Andreas Rauchfuß, September 2014