Der Titel „66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und Beratung“ (Torsten Groth, Carl-Auer-Verlag, 2017) ist verführerisch und gleichzeitig komplex: „Gebote“ suggerieren, dass hier ein weiterer Ratgeber für Führungskräfte und Berater/Beraterinnen vorliegt, aber gleich 66 davon?

Der Autor selbst beschreibt diese Gebote „als kleine Merker, Nadelstiche im alltäglichen Denken, Erinnerung daran, wie man auch anders an die Dinge herangehen könnte“ (S. 9). Kern dieser „Orientierungsangebote“ sind system- und organisationstheoretische Grundlagen, „die nicht verwechselt werden sollten mit modischen Organisations- und Führungsansätzen“ (ebenda). Systemtheoretisches Denken wird verstanden als Möglichkeit, die Welt „brauchbar anders“ (S. 10) zu konstruieren. Während gängige Management- und Führungsliteratur oft zu leicht verdaulichen, scheinbar praxisnahen Maximen einlädt („Wenn nur die Führungskraft die Mitarbeitenden „richtig“ motiviert, werden auch die Ergebnisse besser“), geht der systemtheoretische Ansatz davon aus, „dass man es immerfort mit einzigartigen, komplexen Verhältnissen zu tun hat (…und) die Praxisnähe vieler Konzepte und Fallstudien jedoch recht schnell an ihrer Praxisrelevanz (verlieren)“. (S. 16) Deshalb lautet das erste Gebot „Nutze Theorie, damit du praktisch wirst“.

Und selten hat es so viel Spaß gemacht, sich mit (systemtheoretischer) Theorie zu beschäftigen. Jeweils 10 Gebote sind zu 6 Kapiteln zusammengefasst:

  • zur systemischen Erkenntnistheorie
  • zum Denken in sozialen Systemen,
  • zur Organisation,
  • zu Management und Führung, und anderen

sowie 6 Gebote zu grundlegenden systemischen Ideen und Prinzipien. Allein das Inhaltsverzeichnis lädt dazu ein, einfach bei einzelnen Geboten in den Text einzusteigen:

 „Bleibe im Modus »Wie interessant das …«“,

„Betrachte Organisationen als Verpackungskünstler und wundere dich über Problemlosigkeit“,

„Betrachte alles, was funktioniert als systemisch“,

„Frage dich, was passiert, wenn nichts passiert“ oder

„Sei Igel und kein Hase“.

Jedes Gebot wird auf ein bis zwei Seiten mit einfachen Sätzen und nachvollziehbaren Beispielen aus dem Alltagsdenken erläutert. Einfache, ansprechende und witzige Zeichnungen illustrieren den Absatz. Querverweise zwischen den Geboten ermöglichen ein interessegeleitetes Stöbern wie in einem Hypertext.

Systemisches Denken macht „aus Tatsachen rekursive Muster“ (9. Gebot, Seite 33). Anstatt den Alltag oder Zustand von und Handeln in Organisationen als Tatsachen zu betrachten, wendet die systemische Prozessperspektive den Blick auf das „Gewordensein“ von scheinbaren Tatsachen. Die Tatsachenbehauptung einer Führungskraft – „Meine Mitarbeiterin schafft das eh nicht, da mach ich es lieber selber.“ und die Tatsachenbehauptung der Mitarbeiterin „Ich kann nichts für ihn tun, er macht eh alles alleine.“ verweisen auf einen sich selbst stabilisierenden Prozess, der zu einem Muster in der wechselseitigen Kommunikation geworden ist. Systemisches Denken lenkt den Blick auf diese Muster und verdeckten, informellen Spielregeln in Organisationen, mit denen scheinbar sachlogische Entscheidungsprozesse begründet werden. „Ein Ziel von Management und Beratung liegt im Erkennen, sichtbar machen und ggf. auch verändern all jener Rekursionen und Rückkopplungen, die im Alltag im Zusammenwirken nicht als solche erkannt und benannt werden.“ (S. 33) Führung wird als Funktion begriffen (31. Gebot), die durch Beobachten und Verändern dieser Muster versucht, diese scheinbar unumstößlichen Spielregeln des Funktionierens von Organisationen zu durchschauen und zu irritieren oder zu verändern, um die Überlebensfähigkeit des sozialen Systems sicherzustellen.

Torsten Groths 66 Gebote laden dazu ein, Organisationen als soziale Systeme „anders“ zu betrachten. Um die Anzahl der Optionen für unternehmerisches Handeln zu erhöhen, alternativloses Denken zu überschreiten und zu „besseren“ Entscheidungen zu kommen.

Johannes Massolle

Torsten Groth, 66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und Beratung, Carl-Auer-Verlag, 2017, ISBN 978-3-8497-0104-8
(Hier bestellen: Carl-Auer Verlag)