Keine Bewerber*innen für Führungspositionen? Überlastete Führungskräfte? Führungs-Doppel bieten Chancen. Der Artikel beleuchtet, wie das funktionieren kann.

Wie es sich beim Thema „zu zweit führen“ gehört, gibt es zwei gelebte Realitäten. Im politischen Raum ist es relativ normal, dass Parteien von zwei Personen geführt werden. Zweifelnde und hämische Kommentare, dass keine der beiden Personen das Zeug zu alleiniger Führung habe, gibt es nicht mehr.

In Unternehmen und Verwaltungen dagegen ist es nach wie vor höchst selten, dass die Funktion Führung von zwei Personen gemeinsam ausgeübt wird. Satzungen oder Geschäftsordnungen geben zum Teil explizit vor, dass Leitung durch eine Person auszuüben ist.

Funktionierende Beispiele von doppelter Führung aus unserer Beratungspraxis veranlassen mich zu diesem Artikel. Wie kommt es dazu, das Tandem-Führung so selten als Lösungsoption in Betracht gezogen wird – obwohl die Probleme bei der Besetzung von Leitungsstellen drückend sind: Interne Bewerbungen gehen massiv zurück, Leitungskräfte wollen wieder auf die operative Ebene zurück und die Regel „Leitung nur Vollzeit“ hält viele ab, sich zu bewerben.

Bei unseren Kunden begegnet uns ab und zu doppelte Führung. Bei KMU ist das meist dann der Fall, wenn zwei oder drei Eigentümer*innen gemeinsam die Geschäftsführung übernehmen. In der Sozialwirtschaft kommt es zum Teil durch gewachsene, freundschaftliche Beziehungen zu Doppelführungen. Es kommt auch vor, dass Aufsichtsrat oder Vorstand die Geschäftsführung mit einem kaufmännischen Teil und einem fachlichen Teil besetzen, oft nach Wachstumsprozessen oder wenn eine „übergroße“ Gründungsperson das Amt aufgibt: „Das ist durch eine Person nicht zu leisten!“. Auch Fusionsprozesse sind ein Anlass für eine (befristete) doppelte Leitung.

Im Folgenden stelle ich Pro- und Contra-Argumente dar.

Erfahrungen, Hypothesen und Glaubenssätze, die gegen eine doppelte Führung sprechen.

  • Mitarbeitende wollen von einer Person geleitet werden, alles andere sorgt für Verwirrung.
  • Der Abstimmungsaufwand ist zu hoch, letztlich ist doppelte Führung ineffizient.
  • (Nicht zu handhabende) Konflikte zwischen den Führungspersonen erscheinen mehr oder weniger unausweichlich.
  • Im Konfliktfall kommen auf Aufsichtsrat oder Vorstand unangenehme Aufgaben zu.
  • Nach außen und nach innen wird eine Ansprechperson benötigt, weil nur das für Klarheit sorgt.
  • Es gibt keine/wenig Vorbilder für Tandem-Führung. Die Modelle „Leitung und Assistenz“ bzw. „Leitung und Stellvertretung“ sind bekannt und deshalb bevorzugte Lösungsoptionen bei Problemen.
  • Eine Tandem-Führung ist „undenkbar“ und deshalb auch „unmachbar“.
  • Der Anteil der Arbeitszeit für Besprechungen wird noch höher!
  • Das Modell erfordert hohe Kommunikationsfähigkeit. Die wird nicht allen zur Verfügung stehenden Personen zugeschrieben.
  • Die Mitarbeitenden halten sich nicht an vereinbarte Zuständigkeiten und gehen zu der Leitungsperson, von der sie am meisten Entgegenkommen und Unterstützung erwarten.

Erfahrungen, Hypothesen und Glaubenssätze, die für eine doppelte Leitung sprechen

  • Eine zweite Person kann Expertise mitbringen, die sich eine Person alleine in dieser Tiefe nicht aneignen kann bzw. sich nicht anzueignen zutraut. Das bereichert die Person und die Leitungsleistung.
  • Leitung hat auf der gleichen Ebene eine*n Sparringspartner*in zum Gedankenaustausch. Das gilt für die sozial-emotionale und die sachliche Ebene.
  • Die „Einsamkeit der Führungskraft“ wird reduziert.
  • Vertretung ist leichter möglich.
  • Personen mit Leitungskompetenz und dem Wunsch oder der Bedingung, nur 25 oder 30 Wochenstunden zu leisten, können in das Unternehmen eingebunden werden.
  • Bei einem gelingenden Umgang mit Meinungsunterschieden und Konflikt ist das ein kommunikatives Vorbild für die Mitarbeitenden.
  • Zum Modell gehört „der Zwang zur Kommunikation“. Dinge auszusprechen führt oft zu Klarheit. Eigene Positionen werden von einer anderen Person überprüft.
  • Das Modell macht deutlich: Menschen und ihre Fähigkeiten und Begrenzungen sind unterschiedlich. Das erkennt das Unternehmen an und geht damit um. „Die sind aber unterschiedlich!“ kann im formalen Kontext thematisiert werden und muss nicht im informellen Bereich „aufblühen“.
  • Tandem-Leitung kann in Betracht kommen, wenn es eine hohe Leitungsspanne gibt und die Bildung zusätzlicher Organisationseinheiten nicht sinnvoll ist. Ziel ist es, Belastungen zu reduzieren.

Bedingungen und Möglichkeiten, das  Tandem-Leitung funktioniert

Das A und O ist die Definition der Rollen: die gegenseitigen Erwartungen im Tandem und mit Mitarbeitenden, Kund*innen und Stakeholdern sind zu klären. Für die Abnehmer*innen der Führungsleistung muss klar sein, wofür die jeweilige Person steht.

Der zweite wichtige Punkt: wer darf welche Entscheidungen treffen? In der Regel gibt es Aufgaben mit alleiniger Entscheidungsbefugnis, ggf. gekoppelt mit einer Beratungspflicht und solche, bei denen nur zu zweit entschieden wird. Ein Entscheidungsverfahren ist ebenfalls zu vereinbaren: Konsens ist das Ziel, bei Dissens kann z. B. die höhere Ebene hinzugezogen werden.

Die Rollen können anhand der folgenden Unterscheidungen differenziert werden:

  • Funktionen:
    – Innen (Personal, Organisation, Finanzen …) und Außen (Strategie, Akquisition, Verkauf, Produktentwicklung …)
    – Pädagogik (Fachliches) und Administration
  • Standorte
  • Produkte
  • Arbeitsbereich, Projekte

Die hier genannten Aufteilungsmöglichkeiten beziehen sich auf die formalen Aspekte des Unternehmens: Produkte, Aufgaben, Befugnisse etc. Hier geht es um das WAS.

In der Tandem-Praxis entwickelt sich eine weitere Unterscheidung: WIE kommunizieren wir? Wenn Sie sich an Führungskräfte in ihrer beruflichen Laufbahn erinnern, werden ihnen die folgenden Unterschiede in der Art zu kommunizieren bekannt vorkommen …

Harmonie … Konfrontation
Gemeinsamkeit … Unterschiede
Reflexion … Aktion
schnell … langsam
Mensch … Sache
Nähe … Distanz
Routine … Neuentwicklung

Anhand solcher Unterscheidungen können kommunikative Führungsmuster beschrieben werden. Für das Gelingen von Tandem Führung ist es wichtig, dass im Umgang mit den skizzierten Unterschieden nicht auf falsch-richtig, sondern auf hilfreich-nicht hilfreich fokussiert wird. Das gilt sowohl für die Tandem-Partner*innen, als auch für ihr direktes Umfeld.

Gelingt es dem Tandem, ihre Unterschiede bei Fähigkeiten und Sichtweisen und ihrer Kommunikation offen zu kommunizieren und zu eindeutigen Entscheidungen zu kommen, kann darin der größte Nutzen einer Tandem-Führung liegen: ein vorbildhafter, kulturprägender Umgang mit Unterschieden und vielleicht sogar Konflikten.

Andreas Rauchfuß